Stellungnahme zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes in Sachsen-Anhalt

Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass wieder ein rechtes Netzwerk in einer „Sicherheitsbehörde“ aufgedeckt wird – sei es innerhalb der Polizei, des Verfassungsschutzes oder im Militär. Das führt allerdings nicht dazu, dass diese Behörden stärker überprüft oder hinterfragt werden. Im Gegenteil werden kontinuierlich Kompetenzen von Polizei und Verfassungsschutz ausgeweitet. So auch in Sachsen-Anhalt: die Landesregierung plant, das Versammlungsrecht zu verschärfen. Wir dokumentieren die Stellungnahme verschiedener Gruppen aus Sachsen-Anhalt, die sich gegen den geplanten Gesetzesentwurf aussprechen.

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober 2019 in Halle hatte die Landesregierung verkündet ihren Kampf gegen die menschenfeindlichen Ideologien der extremen Rechten auszuweiten. Dazu ist es bis jetzt allerdings nicht gekommen. Nun stellt die Landesregierung ausgerechnet die Verschärfung des Versammlungsrechts als eine Maßnahme im Kampf gegen Rechts dar. Mit der neuen Verschärfung sollen zum Beispiel die antisemitischen und rassistischen Kundgebungen und Demonstrationen eines bekannten Rechtsextremisten aus Halle verboten werden können. Diese Argumentation ist besonders perfide, denn seit Monaten werden Polizei und Versammlungsbehörde dafür kritisiert, nicht ihre gesamten rechtlichen Möglichkeiten gegen diesen auszunutzen. Weder werden Journalist:innen oder Beobachter:innen geschützt noch werden die Auflagenverstöße von Rechtsradikalen dokumentiert noch Straftaten wie Beleidigung, Volksverhetzung oder Bedrohung verfolgt.

Der Gesetzesentwurf, der am 21. Januar 2021 im Landtag beraten wurde, sieht eine Reihe von Neuerungen vor. So soll in Halle künftig die Stadt anstelle der Polizei die Versammlungsbehörde sein. In Magdeburg hingegen soll die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht bei der Polizei bleiben. Darüber hinaus werden die Befugnisse der Versammlungsbehörden durch die Einführung des Schutzguts der „öffentlichen Ordnung“ sowie eine Verschärfung des Uniformierungsverbots erweitert. Beide Paragraphen öffnen der Versammlungsbehörde und auch der Polizei, die die Entscheidungen der Behörde umsetzt, Tür und Tor, um Demonstrationen leichter einzuschränken oder gar zu verbieten.

Die öffentliche Ordnung – so bestimmt unbestimmt

Versammlungen sollen künftig nicht mehr nur wegen einer unmittelbaren Gefahr für die „öffentliche Sicherheit“ beschränkt oder verboten werden können. Nunmehr soll dies auch aufgrund einer Gefährdung der „öffentlichen Ordnung“ geschehen können. Dieser Begriff ist zwar nicht neu – er besteht sowohl im sachsen-anhaltinischen Polizeigesetz als auch in den Versammlungsgesetzen der meisten Bundesländer. Das sachsen-anhaltinische Versammlungsgesetz blieb hingegen bisher von der höchst fragwürdigen Konstruktion der „öffentlichen Ordnung“ verschont. Der Begriff beschreibt die „Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln des Zusammenlebens“. Diese Definition ist an Unbestimmtheit und Willkürpotenzial kaum zu überbieten. Die Auslegung dessen, was damit gemeint ist und was nicht, obliegt zunächst den Versammlungsbehörden. Bei einem solchen Auslegungsspielraum greift der Staat erfahrungsgemäß bei antifaschistischen Demonstrationen und sozialen Protesten eher hart und unverhältnismäßig durch, während er bei rechten Veranstaltungen häufig Milde walten lässt und ein bis zwei Augen zudrückt. Dies ist gerade bei der Polizei (die in Magdeburg auch weiterhin Versammlungsbehörde sein soll) wenig überraschend, ist sie doch von rechten Strukturen durchsetzt, wie erst die jüngst aufgedeckte rechtsextreme Chatgruppe in der sachsen-anhaltinischen Polizei erneut gezeigt hat. Uniformierung oder Lifestyle?

Schon die Einführung des Begriffs der öffentlichen Ordnung ins Versammlungsgesetz ist zu kritisieren. Dabei will es die Landesregierung aber nicht belassen. Auch das strafbewehrte Uniformierungsverbot soll verschärft werden. Bisher verbot es das „Tragen von Uniformen, Uniformteilen und uniformähnlichen Kleidungsstücken“ auf Versammlungen. Nun soll das Wort uniformähnlich durch „gleichartig“ ersetzt werden, sodass die Schwelle, das Verbot anzuwenden, sinkt und es noch schwieriger ist vorherzusehen, was damit gemeint ist. Hinzu kommt, dass das Verbot mit der geänderten Fassung nicht mehr nur auf Versammlungen gelten soll – auch generell im öffentlichen Raum will die Landesregierung das Tragen gleichartiger Kleidung verbieten, sofern davon eine „einschüchternde Wirkung“ ausgeht. Es erschließt sich schon nicht, was ein Verbot des Tragens gleichartiger Kleidung unabhängig von einer Versammlung im Versammlungsgesetz zu suchen hat. Vor allem aber weitet diese geplante Fassung des Uniformierungsverbots die Repressionsmöglichkeiten der Versammlungsbehörde erheblich aus, ohne dass hierfür ein nachvollziehbarer Anlass bestünde.

Gegen Nazis hilft keine Einschränkung des Versammlungsrechts, sondern nur konsequenter Antifaschismus

Ginge es der Landesregierung wirklich darum, effektiver gegen Rechtsextremismus vorgehen zu können, gäbe es bereits jetzt viele unausgeschöpfte Möglichkeiten. Rechte Straftaten werden durch die Staatsanwaltschaften bagatellisiert, rechte Netzwerke in staatlichen Strukturen nicht erkannt. Die Verschärfung des Versammlungsrechts hilft hingegen nicht gegen den Terror von rechts. Im Gegenteil – der Handwerkskoffer der Repressionsbehörden wird ausgebaut und im Zweifel werden dadurch Antifaschist:innen kriminalisiert.

Wir bleiben dabei: Antifaschismus bleibt Handarbeit! Ob in der Recherche, in der gemeinsamen Arbeit mit Betroffenen rechter Gewalt oder auf der Straße mit dem eigenen Körper gegen Nazis. Verschärfte Versammlungsgesetze helfen dabei nicht. Einzig konsequenter Antifaschismus kann eine vernünftige Antwort auf die erstarkende extreme Rechte sein! Wir fordern deshalb auch die Landtagsabgeordneten von Grünen und SPD auf, der geplanten Gesetzesänderung nicht zuzustimmen!



Unterzeichnende Gruppen
Anti-Kohle-Kidz Halle – Arbeitskreis Kritischer Jurist:innen Halle – Borderless Solidarity – Bündnis Bunter Harz – Bündnis Dessau Nazifrei – Bündnis für Datenschutz Halle – Bündnis Querfurt für Weltoffenheit – Das Kollektiv MSH – Ende Gelände Halle – Food Not Borders – Fachschaftsrat der Phil. Fak I an der MLU – Freie Arbeiter *innen Union Halle – Freie Arbeiter *innen Union Magdeburg – Fridays for Future Halle – Fridays for Future Magdeburg – Fridays for Future Wittenberg – Fridays for Future Sachsen-Anhalt – Galgenberg2 e.V., sozio-kulturelles Zentrum „Gärtnerei“ – Harz for Future – Haus- und Wohnprojekt Thiembuktu – Initiative 9. Oktober Halle – Interventionistische Linke Halle – Kick Them Out – Nazizentren dichtmachen – Kollektiv „IfS dichtmachen“ – Kritische Politikwissenschaft Halle – Medinetz Halle/Saale e.V. – Offene Linke Liste Magdeburg – OMAS GEGEN RECHTS Halle – Recht auf Stadt Halle – Rote Hilfe e.V. Halle – Rote Hilfe e.V. Magdeburg – Saali Bleibt – Zukunft statt Autobahn – Seebrücke Halle – Seebrücke Magdeburg – Sozialistische Jugend – Die Falken, Kreisverband Halle (Saale) – Sozialistische Jugend – Die Falken, Kreisverband Magdeburg – Sozialistische Jugend – Die Falken, Landesverband Sachsen-Anhalt

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