Ich bin müde, frustriert und wütend. Es ist 2021 und wir müssen immer noch Feministinnen sein und feministische Kämpfe austragen. Ich bin so müde, dass ich eigentlich keinen Redebeitrag schreiben kann. Ich bin so müde, dass ich nicht für meine Rechte einstehen kann. Ich bin so müde, dass ich nicht für die Rechte meiner Schwestern einstehen kann. Ich kann nicht mal anrufen und sie fragen, wie es ihnen geht.

Mit 15 dachte ich, dass Wörter wie pay gap oder Teilzeitfalle bestimmt Relikte aus der Vergangenheit sein werden. Wenn ich erstmal groß bin - dann ist das alles ganz anders. Ich weiß ja jetzt wie das mit dem Feminismus geht. Es ist nichts passiert. Mit jedem Tag mit dem ich mehr über das Patriarchat lerne wird nur das Aufstehen schwerer. Ich sitze zwischen Lohnarbeit und Windeleimer und habe keine Zeit für meine Wut.

Ich bin wütend! Ich bin so wütend.

Es gibt staatliche Einlenkungen zur Gleichberechtigung, z.B. was Elternzeit angeht. Im Moment ist es so, dass Eltern mit mehr Elterngeld honoriert werden, wenn beide Eltern Elternzeit nehmen. In der Praxis von heterosexuellen Pärchen heißt das meistens: Er geht arbeiten, weil er mehr verdient und nimmt später die Mindestanzahl an Elternzeit und in der Zeit machen alle zusammen Urlaub und am Ende hat wieder nur sie die ganze Carearbeit gemacht. Das kann man in Studien nachlesen. Das kann man aber auch einfach bei seinen Freunden sehen, die einem das ins Gesicht lachen. „Haha, so schön, bald habe ich Elternzeit und dann machen wir erst mal Urlaub.“ (Was machen die jetzt eigentlich während der Pandemie? Egal.) Es ist ja schön und gut mit dem politischen Anspruch, aber er verdient mehr als sie. Da ging das nicht anders mit der Elternzeit. Was soll man machen... Das. ist. keine. Carearbeit. Das ist scheiße. Möchte ich schreien, bin aber wieder zu müde für etwaige Gefühlsregungen.

Zunächst war es ein ermächtigendes Gefühl in der Jugendbewegung die Puzzleteile zusammen zusetzen, die eigene strukturelle Unterdrückung zu verstehen und sich zusammen zu finden, gemeinsam zu kämpfen, auch gegen die patriarchalen Strukturen in der eigenen Bewegung. Links sein schützt vor Mackertum nicht. Gute Absichten können dennoch zu rein cismännlichen Plena, Podien und Vorständen führen, das ist frustrierend.

Feminismus ist komplex und nicht immer einfach. Was unter den einen Perspektive sinnvoll erscheint, erscheint weniger progressiv unter einer anderen Perspektive. Es ist okay, Rituale wieder zu ändern. Ich fand es gut, mich meines eigenen Körpers zu ermächtigen, Tabus zu brechen und darauf aufmerksam zu machen. Ich fand es spannend mich mit Vulven zu beschäftigen und sie überall hinzukritzeln. Das würde ich heute anders machen. Feminismus ist eben nicht ein Kampf für die Vulven dieser Welt. Feminismus ist nicht binär. Feminismus bringt das Patriarchat zu Fall. Für alle. Nicht nur für weiße Cis-Heten. Dafür müssen wir immer wieder vergeschlechtlichte Identitäten dekonstruieren und ihre Verbindung zu anderen sozialen Beziehungen wie z.B. Rassifizierung, Klasse oder Ableismus verstehen, um Machtstrukturen radikal zu verändern. Wie können wir aber eine befreite Gesellschaft einfordern, wenn unsere Köpfe nicht in der Lage sind sich von Sexismus, Rassismus, Klassismus, Ableismus, Heteronormativität und Cissexismus zu befreien? Und wie können sich unsere Köpfe von diesen Unterdrückungsformen befreien, wenn unsere Gesellschaft nicht befreit ist?

Das Patriarchat hat im Kapitalismus eine besondere Form gefunden. Mit der Industrialisierung begann die Trennung von öffentlich und privat, und die Vergeschlechtlichung der Arbeit in männliche Produktionsarbeit und weibliche unbezahlter Reproduktionsarbeit. Gleichzeitig begann auch die die Entwertung von bestimmter vergeschlechtlichter Arbeit. Carearbeit entzog sich weiter der notwendigen kollektiven Organisation und der sozialen Anerkennung, obwohl sie essenziell für das Leben ist, für den gesellschaftlichen Erhalt und letztendlich den Kapitalismus. Kapitalistische Produktionsweisen produzieren, reproduzieren, transformieren, erneuern und bewahren Hierarchien und Unterdrückung. Feminismus darf sich also nicht auf Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu reduzieren, Sexismus ist eine Form von Unterdrückung aber die Ignoranz gegenüber anderer Formen von Unterdrückung, die sich mit Sexismus verschränken wäre nicht feministisch. Der Kapitalismus lebt von der Aneignung unterbezahlter und unbezahlter vergeschlechtlichter Arbeit aber ebenso von der Arbeit anderer unterprivilegierter Gruppen. Er braucht entwertete Arbeit für maximalen Profit, er braucht sie für seine eigene Reproduktion.

Feministischer Kampf bleibt also keine Frage von staatlichen Reformen, von mehr Elternzeit oder anderer Elternzeit. Ungleichheit ist Konsequenz und Voraussetzung für den Kapitalismus. Feministische Kämpfe müssen Machtstrukturen hinterfragen. Nur eine breite, radikale Analyse von Unterdrückungsformen befreit unsere müden Köpfe und unsere Gesellschaft.

Bleibt wütend! Bleibt solidarisch! Seid feministisch! Freundschaft.

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