Statement zum Fall der "Bullenspitzel"

Ende Januar ging ein Indymedia-Artikel herum, der den Titel "Bullenspitzel raus aus dem Stadtrat!" trägt. In diesem Artikel ist zu lesen, dass Personen aus dem Studierendenrat der Martin-Luther-Universität in polizeilichen Zeugenvernehmungen im Kontext einer Ermittlung zu einer Besetzung von Uni-Gebäuden im Sommer 2022 umfangreich mit der Polizei kooperierten und sogar unaufgefordert weitere Informationen weitergaben. Dem Artikel angehängt sind Informationen zu diesen sogenannten "Bullenspitzeln" – mit Klarnamen (u.a. Deadnames) und Hinweisen zur (vermeintlichen) politischen Aktivität der einzelnen Personen. Unter dem (Dead-)Name einer der Personen tauchen als politische Organisierung auch wir, die Falken Halle, auf. Etwa zwei Wochen später wurde dann eine Website mit einer "Erklärung …antifaschistischer Gruppen Halle (Saale)" veröffentlicht, die sich ebenfalls auf die Enthüllung der umfangreichen Kooperation mit der Polizei bezieht. Diese Erklärung schließt u.a. mit der Forderung, die entsprechenden Personen, welche bei der Polizei aussagten, aus den eigenen Strukturen zu "entfernen" (Stand Februar 2024). Unten auf dieser Website findet man dann schließlich mehrere Listen. Auf der Liste mit dem Titel "Strukturen in denen die Spitzel aktiv mitwirken" tauchen wir dann auch wieder auf. Zu diesen Geschehnissen und Vorwürfen wollen wir uns im Folgenden äußern.

Transfeindlichkeit

Bevor wir uns dem eigentlich Thema widmen, wollen wir etwas zum allgemeinen Zustand der linken Szene in Halle sagen. Einige sich selbst als Antifa bezeichnende Gruppen fallen seit einigen Jahren immer wieder durch krasseste transfeindliche Äußerungen - und auch Taten auf. Für uns steht die Transfeindlichkeit der hallischen Antifa im krassen Gegensatz zu linksradikalen Prinzipien. In diesem Kontext verstehen wir auch den Indymedia-Artikel: wie selbstverständlich werden Deadnames von Personen veröffentlicht. Dies verurteilen wir zutiefst. Wir gehen davon aus, dass diese Transfeindlichkeit aktuell immer mehr dazu führt, dass die Spaltung zwischen "antifaschistischen" und "queeren" Gruppen sich verstärkt. Dies führt nicht nur dazu, dass Personen sich quasi entscheiden müssen, ob sie queer oder antifaschistisch sein wollen. Es führt auch dazu, dass politische Organisierungen, die beides miteinander vereinen wollen, immer wieder zwischen die Fronten geraten. Dies behindert unsere politische Arbeit und darauf haben wir keinen Bock! Unserer Meinung nach führt diese Spaltung auch dazu, dass enorm wichtige Grundsätze, wie "Anna und Arthur halten's Maul", nicht mehr bei allen linken Gruppen ankommen, da szeneübergreifende gemeinsame Projekte und der damit verbundene Wissensaustausch nicht mehr möglich sind. Queere Personen wurden durch die Transfeindlichkeit "antifaschistischer" Gruppen aus linksradikalen Räumen rausgeekelt – hier wurde ein linksradikaler Grundsatz gebrochen. Wir sehen dies mit als Grund dafür, warum sich nicht mehr an andere linksradikale Grundsätze gehalten wird. Die aktuelle Situation muss deshalb auch denjenigen zu denken geben, die gegen die transfeindlichen Entwicklungen der eigenen Szene nicht eingeschritten sind.

Maul halten!

Mit der Polizei wird nicht gesprochen, geschweige denn kooperiert! Wir verurteilen es zutiefst, dass Personen aus der linken Szene gegen andere Personen aus dieser Szene ausgesagt haben. Wir verurteilen es zutiest, dass sie dabei sogar selbst und unaufgefordert recherchiert und ausgesagt haben. Mit der Polizei zu kooperieren stellt nicht nur eine enorme Gefahr dar für die Strukturen und Personen, über die Informationen an die Polizei gegeben wurden. Auch für die Strukturen, in denen die Aussagenden aktiv sind und auch sie selbst müssen negative Folgen erwartet werden – ebenso wie eigentlich für die gesamte Szene. Die Polizei ist kein "Freund und Helfer", wie uns die bürgerliche Gesellschaft glauben machen will, sondern immer eine Gefahr für uns linke Personen und Projekte. Dass uns die Polizei helfen kann, ist ein Trugschluss, denn ihnen geht es nicht um den Schutz von queeren oder linken Menschen, sondern einzig und allein um den Schutz von Staat und Eigentum. Leider bedeutet das für uns in der Konsequenz: Wer mit der Polizei gesprochen hat und dabei Gefahr gelaufen ist, sich und andere zu verraten, dem*der kann nicht mehr vertraut werden.

Wie der Umgang im Nachgang der Enthüllungen in den betroffenen Gruppen konkret aussieht, sollte unserer Meinung nach aber jede Struktur in Reflexion des konkreten Falls für sich treffen. Für uns heißt es konkret: Die Person, die in den Artikeln als aktives Mitglied bei uns aufgeführt wird, ist in unseren Strukturen nicht aktiv, war aber als Referentin und Expertin Teil unserer Veranstaltungen. Nach unserer Auffassung hat sie in einer Gefahrensituation bei der Polizei Schutz gesucht. Das finden wir falsch, können es aber nachvollziehen. Wir halten es außerdem für verwerflich, dass sie, laut des Indymedia-Artikels, Teilnehmer linker Aktionen bei der Polizei identifiziert haben soll. Wir sehen jedoch keinen akuten Handlungsbedarf unsererseits, weil sie kein aktiver Teil unserer Strukturen ist. Wir wollen sie nicht "entfernen" und stehen weiterhin freundschaftlich an ihrer Seite.

Kein Bock auf die Spaltung!

Wir sind schockiert über die Unfähigkeit der halleschen Linken, einem solchen Konflikt souverän entgegenzutreten ohne dabei transfeindlich zu werden oder die Polizei zu verteidigen. Die Rhetorik der letzten Wochen, Monate und Jahre ließ keinen Raum für Nuancen, oder das Interesse an einer gemeinsamen politischen Linie. Wir wurden als Struktur sofort als eine markiert "in der Spitzel aktiv mitwirken", ganz unabhängig davon, ob das wirklich stimmt. Dieser Umgang ist das Rezept für eine Schwächung der antifaschistischen Linken, die auch noch selbst daran mitwirkt. Für uns heißt das konkret, dass viel unserer Energie, statt in unsere politische Arbeit in die Bearbeitung des Konflikts fließen muss, was uns lähmt. Es wird immer schwieriger Bündnisse zu knüpfen und auch Veranstaltungen zu machen ist nicht leicht, wenn immer jeweils eine Hälfte der angesprochenen Personen sich in bestimmten linken Räumlichkeiten nicht sicher fühlt. Wir wissen, dass auch weitere Strukturen in Halle unter dieser Situation leiden. Das muss aufhören: In Halle ist Platz für eine queere, antirassitische, antisemitismuskritische und antifaschistische Linke!

Deshalb stellen wir uns nicht auf eine Seite in diesem Konflikt. Wir fordern linke Strukturen in Halle auf, auch mal die Graustufen zu betrachten, um langfristig gemeinsam handeln zu können. Erstmal genauer hinzuschauen, statt sofort anzugreifen. Wir müssen der Spaltung etwas entgegensetzen und dürfen uns nicht zu einfachen Freund-Feind-Konstruktionen hinreißen lassen. Grundsätzlich finden wir es gut, dass die linke Szene nun dazu aufgefordert ist, sich mit dem Spitzelvorfall auseinanderzusetzen. Es muss generell mehr darüber gesprochen werden, wie wir uns nicht selbst gefährden, wie Repressionen nicht durchs eigene Handeln ausgelöst werden und welche generelle Kritik es an der Polizei gibt. Dazu braucht es Austausch und Bildung – und keine tiefere Spaltung!